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William Shakespeare
WAS IHR WOLLT


Premiere: 13. Oktober 2007, Stadthalle (Erwin-Piscator-Haus)

Fotos link

Besetzung:
Inszenierung -
Ausstattung -
Dramaturgie -

Inspizienz -
Regieassistenz -
Soufflage -
Peter Radestock
Andreas Rank
Annelene Scherbaum

Ito Grabosch
Juliane Nowak
Bernd Kruse
WAS IHR WOLLT

Darsteller:
Orsino, Herzog von Illyrien - Peter Meyer | Viola, später verkleidet als Cesario - Franziska Endres | Sebastian, ihr Zwillingsbruder - Florian Federl | Olivia, eine Gräfin - Regina Leitner | Maria, Olivias Kammerzofe - Christine Reinhardt | Tobias von Rülps, Olivias Onkel - Jürgen Helmut Keuchel | Andreas von Bleichenwang, Tobias' Begleiter - Stefan Gille | Malvolio, Olivias Haushofmeister - Markus Klauk a.G. | Narr, in Olivias Diensten - Stefan Piskorz


Stück:

„Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter! Gebt mir davon bis zum Exzess!“

Durch einen Schiffbruch wird Viola von ihrem Zwillingsbruder Sebastian getrennt. Sie landet in Illyrien und tritt, als Mann verkleidet, unter dem Namen Cesario in die Dienste des Herzogs Orsino – und verliebt sich in ihn. Orsino hingegen ist unglücklich verliebt in die reiche Gräfin Olivia. Viola-Cesario muss nun als Page im Auftrag des Herzogs bei Olivia für den Herrscher werben. Olivia weist die Werbung ab, verliebt sich aber ihrerseits in den schönen Pagen. Die Verwechslungen und Verwicklungen nehmen kein Ende. Der hochmütige Haushofmeister Malvolio macht sich ebenfalls Hoffnungen auf die Gräfin, wird aber zum Opfer eines Streiches des trinkfesten Junkers Tobias von Rülp und seines Freundes Christoph von Bleichenwang. Schließlich taucht auch noch Violas verschollener Bruder Sebastian auf, der einer Ehe mit Olivia nicht abgeneigt ist…


Pressestimmen:

Marburg News

Was Ihr wollt: Heiterer Abend mit Shakespeare

Marburg * (atn)

Ein Abend für lustige Narren, leidenschaftliche Herzen und Liebhaber des Versteckspiels war die Premiere des Stückes "Was Ihr wollt" am Samstag (13. Oktober) in der Stadthalle. Die Komödie von William Shakespeare präsentierte das Hessische Landestheater Marburg dort in einer Inszenierung von Peter Radestock. Sie war nach "Schändung" bereits die zweite Shakespeare-Premiere an diesem Abend. Das etwa zweistündige Stück ist um 1600 entstanden. Damals saß das kunsthungrige Publikum nicht wie heute ordentlich im Gestühl. Theater war zu Shakespeares Zeiten eine Art Zeitvertreib für die breite Masse ohne Anspruch auf einen irgendwie gearteten Bildungseffekt. So tummelte sich vom kleinsten Schuhputzer bis zum adeligen Königsgeschlecht alles mehr oder weniger direkt vor der Bühne und wollte unterhalten werden - und selbst mit unterhalten. Dementsprechend steckt auch "Was Ihr wollt" voller kleiner Narrenstreiche, Belustigungen und Gezeter. Es spielt in dem imaginären Land "Illyrien", in das man nur durch Schiffbruch gelangt. In Illyrien tummeln sich glücklich und unglücklich Verliebte, Narren und Trinker. Sie alle lieben die Maskerade. Peter Meyer war als Orsino oder Herzog von Illyrien mehr oder weniger der einzige Ruhepol in diesem Stück, obwohl auch ihn seine so grausam unerwiderte Liebe zu der reichen Gräfin Olivia ab und an zum Rasen brachte. Olivia, dargestellt von Regina Leitner, war das Stück Exotik in der Komödie. Scheinbar eben einem Katalog für extravaganten Bedarf zur Befriedigung allzu menschlicher Bedürfnisse entstiegen, tigerte sie über die Bühne. Ob es darum ging, die Liebe des Herzogs zurückzuweisen oder ihren Onkel Sir Toby Rülps für seine Sauferei zu strafen, stets zeigte die schwarze, geheimnisvolle Schönheit ihre Krallen. Der ernstzunehmendste Konkurrent des Herzogs in seiner Werbung um die Gräfin war sein eigener Laufbursche. Eigentlich handelte es sich dabei um eine Frau, nämlich Viola, dargestellt von Franziska Endres. Sie war in Illyrien gestrandet und hatte sich aufgrund höherer Überlebenschancen für ein Dasein in Männerkleidern entschieden. Als Cesario diente sie ab dann dem Herzog und übernahm für ihn vergebliche Botengänge zum Herzen Olivias. Selbst unsterblich in den Herzog verliebt fiel es dem Laufburschen schwer, bei der Gräfin für ihn zu werben. Und noch komplizierter wurden verständlicherweise die Besuche bei ihr, als sich herausstellte, dass Cesario selbst ihr Herz in Brand gesteckt hatte. Jürgen Helmut Keuchel war als Sir Toby Rülps gemeinsam mit seinem farblosen Schatten, Sir Andrew Bleichenwang der unschlagbare Anlass zum Lachen. Der bunte Vogel mit kugelrundem Leibesumfang und stets genug Sprit in der Birne hat in dem ganzen Durcheinander seinen Humor nie verloren. Sogar sein Begleiter und Saufbruder Andrew, dargestellt durch Stefan Gille, konnte es nicht schaffen, Sir Toby aus der Haut fahren zu lassen. Dabei war Sir Andrew alles andere als anspruchsvolle Gesellschaft. Wie ein frisch aus Indien zurück gekommener Hippie in weiten weissen Kleidern und langen gelben Haaren tänzelt er über die Bühne und artikulierte seine so langsamen Gedanken mit einer noch viel langsameren Sprache. Ob es darum ging das Herz der Lady Olivia zu erstürmen oder den Burschen des Herzogs zum Duell herauszufordern: Sir Andrew war nicht nur geistig sehr zurückhaltend. Das ganze Gegenteil stellte der Hofnarr Fabian dar. Stefan Piskorz spielte überzeugend und mit einem beeindruckenden Körperausdruck den auf den ersten Blick verrücktesten Mann in dieser Komödie. Wie sich aber später heraus stellen sollte, analysierte Fabian mit einem wachen Verstand jede Situation und redete sein Gegenüber mit einer Flut rasanter Wortspiele an die Wand. Hochachtung bei dem närrischen Trio genoss Olivias Kammerzofe Maria, dargestellt von Christine Reinhardt. Sie war sich nie für einen Spaß zu schade und versorgte die Trinker regelmäßig mit lebensrettender Flüssigkeit, auch wenn sie dafür das Geschrei des Haushofmeisters Malvolio über sich ergehen lassen musste. Der von Markus Klauk gespielte Stinkstiefel verspielte sich sämtliche Sympathien und wurde von Maria arg hinters Licht geführt. Aufgrund eines gefälschten Briefes nahm er an, die Gräfin sei vor Liebe für ihn am Vergehen. Seine Reaktion darauf brachte das Publikum mehr als einmal herzlich zum Lachen. Gelöst wurde der verwirrende Beziehungsknoten erst kurz vor Ende des Stücks, als der Zwillingsbruder des weiblichen Burschen Cesario, Sebastian, in Illyrien eintraf. Zwar hatte Florian Federl mit diesem Charakter nur einen kurzen Auftritt, aber in dieser Zeit schaffte er es immerhin, zwei Köpfe blutig zu schlagen und im armen Bleichenwang das Heimweh endgültig zum Überlaufen zu bringen. Nebenbei verbrachte er noch eine heißblütige Nacht mit der schönen Gräfin und machte sie danach zu seiner Frau. Ohne Ausnahme lieferten an diesem Abend alle Schauspieler eine grandiose Vorstellung ab. Der Zweck des Stücks - das lachende Publikum - wurde nicht verfehlt. Die Stimmung steigerte sich bis zum Ende, so dass nach einer Lachsalve manchmal kurze Pausen gemacht werden mussten, bis wieder Ruhe im Theatersaal eingekehrt war. Wie zu Shakespeares Zeiten war auch die Bühne sehr karg und schmucklos gehalten. Das graue Bühnenbild vermittelte den Eindruck einer Straßenszene und umrahmte das Geschehen gut. Die graue Mauerecke konzentrierte den Blick des Publikums außerdem auf die Schauspieler und ihren teilweise sehr eigentümlichen Aufzug. Bevor das Gelächter vor einem langen Applaus zu Ende ging, erinnerte der Hofnarr noch mit einem kleinen Liedchen an der Gitarre daran, dass das Leben nicht nur aus Komödien bestehe. Mag man es verstehen wie man will, aber vielleicht steckte in diesem letzten Lied der einzig hintergründige Moment in dem Shakespeare seinen Zuschauern zeigen wollte, mit was für einem Tumult man seine Lebenszeit vertun kann.





Marburger Forum

Schändung von Botho Strauß nach der Tragödie Titus Andronicus von William Shakespeare

Was Ihr wollt von William Shakespeare in der Übersetzung von Thomas Brasch

Premiere beider Stücke: 13. Oktober 2007 (Stadthalle)

Das Ende des Stücks Was Ihr wollt und das Ende eines fesselnden Skakespeareabends nach fast sechs Stunden kurz vor Mitternacht in der Marburger Stadthalle: Der Narr schreitet langsam über die sich verdunkelnde Bühne zum vorderen Bühnenrand und singt sein Lied vom kurzen Leben des Menschen, von der Kinder- und Jugendzeit, der Zeit der Gemeinsamkeit mit einer Frau, dem Alter, und jede seiner Liedstrophen endet mit den berühmten Zeilen: „Denn der Regen, der regnet jeglichen Tag“, Zeilen voller Melancholie und Vergeblichkeit und einer Art „heiterer Traurigkeit“. Und während der letzte Scheinwerferkegel den Narren noch einmal für wenige Augenblicke vom Dunkel der übrigen Bühne abhebt, verklingen die Schlussverse (hier in der Version von Frank Günther): „Die Welt geht rund, und sie macht sich nicht draus, / Mit hei, ho, bei Regen und Wind, / Ist eh alles eins, und das Stück ist nun aus, / Und wir wolln euch erfreuen an jedwedem Tag.“

„A great while ago the world begun […] But that’s all one” – „Die Welt geht rund und sie macht sich nichts draus, […] Ist eh alles eins“: Diese Schlusszeilen können als Motto für die Inszenierung von Was Ihr wollt, aber auch von Titus Andronicus in der Straußschen Version Schändung stehen. Die Welt, so Shakespeare mit seinen beiden Stücken, besteht aus Schrecklichem und Komischem, aus Verbrechen und Liebestollheiten, Blutvergießen und Umarmungen, blutverschmierten Körpern und lächerlich-„liebesbunt“ gekleideten Männern, blutrünstigen und rachelüsternen Männern und Frauen und solchen, die sich nach Liebe sehnen und mit Liebe spielen – „But that´s all one“: Einen großen Unterschied, vielleicht ist das Shakespeares „Botschaft“ an diesem Abend, macht all das nicht und verändern kann man schon längst nichts mehr.

So war es auch nur folgerichtig, dass sich beides, die Tragödie wie die Komödie, auf ein und derselben Bühne, von Andreas Rank eingerichtet, abspielte: einem kastenförmigen Bau mit zwei hohen Wänden links und hinten und einem ansteigenden Bühnenboden, der mit einer Spitze bedrohlich in die ersten Zuschauerreihen hineinragte, und auf dem Theater gezeigt wurde, das nicht unterschiedlicher hätte sein können: Theater als die „Welt“, und „die macht sich nichts draus“.

Titus Andronicus, einer der frühen Texte Shakespeares, handelt von Verbrechen und Schandtaten, die, das wird gelegentlich kritisiert, nicht immer ganz plausibel entwickelt werden und das Stück in die Nähe einer Horror- und Schauertragödie rücken. Gerade das scheint Botho Strauß gereizt und dazu veranlasst zu haben, eine eigene Version des Textes zu erarbeiten, die 2006 am Berliner Ensemble uraufgeführt wurde. Strauß verändert die Geschichte um den römischen Helden Titus Andronicus nicht grundsätzlich, gibt aber den Figuren ein größeres Eigenleben und lässt sie in einem Metatext über sich selbst und ihre Rolle im Stück sprechen und nachdenken. Das führt zu Brechtschen Brechungen des Handlungszusammenhangs, die die Zuschauer zu distanzierten Beobachtern einer schier unzumutbaren Menschenabschlachterei auf der Bühne machen.

Titus Andronicus ist der römische Held schlechthin. Vierzig Jahre schon hat er für Rom Siege erkämpft und wieder einmal kehrt er ruhmreich aus einer Schlacht zurück. Der Preis, den er für seinen Kriegstriumph zu zahlen hat, ist allerdings hoch. Fast alle seiner Söhne hat er in den Schlachten verloren. Jetzt sollen die gefangenen Söhne der Gotenkönigin Tamora gemäß den heiligen Traditionen – „Unsere Frommheit ist es, die das Opfer fordert“ – den Göttern geopfert werden. Titus lässt den Ältesten, trotz des Flehens der Mutter um Gnade für ihn, töten. Die schwört Rache: „Ich will sie alle morden mit der Zeit.“ Und bald hat sie Gelegenheit dazu. Denn Titus versäumt es, sich selbst zum Herrscher des Landes wählen zu lassen, vielmehr unterstützt er loyal die Wahl von Saturnin, dem ältesten Sohn des verstorbenen Kaisers, einem Emporkömmling voller Missgunst und Ränkespiele, der die Gotenkönigin Tamora zur Kaiserin macht und ihr damit alle Möglichkeiten zur Rache in die Hände legt.

Wie ein „Tragödien-Uhrwerk“ läuft das gegenseitige Morden ab. Tamoras Söhne vergewaltigen Titus´ Tochter Lavinia, hacken ihr die Arme ab und reißen ihr die Zunge heraus. Titus schlägt zurück. Er tötet den Geliebten der Kaiserin, einen Mohren, der, bevor er stirbt, den Namen der Vergewaltiger Lavinias verrät. Der eine muss fliehen, der andere wird niedergestochen. Schließlich endet alles in einer übersteigerten Scheußlichkeits-Szene: Titus tischt Tamora die Fleischstücke ihres Sohnes als Mahl auf und erdolcht sie dann. Das Schlussbild zeigt im Hintergrund diese makabre Tafelszene. Rechts von der Decke hängt der blutige Rumpf eines der Getöteten herab. Links im Türrahmen sieht man den schlaffen Körper von Lavinia, die sich erhängt hat.

Das Stück zeigt Krieg als Familientragödie, als Morden der engsten Angehörigen, Menschen als skrupellose Vergötterer von Macht und Eigeninteressen. Unbarmherzig führt es die Absurdität von Kriegsheldentum vor. Titus Andronicus (Thomas Streibig in einer beeindruckenden Rolle) glaubt den religiösen Sitten und Gebräuchen zu entsprechen und sieht nicht, dass die Hinrichtungen, die er befiehlt, mörderische Willkürakte sind. Zu spät erkennt er, dass er an Lavinias schrecklichem Schicksal, an ihrer körperlichen wie seelischen Verstümmelung, mitschuldig ist. Als es ihm bewusst wird, ist er zu keinem anderen Wort als „Rache“ fähig und schürt Gewalt und Grausamkeit, anstatt diesen schlimmen Kreislauf zu durchbrechen. Saturnin (Sascha Oliver Bauer) ist ein listenreicher Ränkespieler und skrupelloser Mächtiger, der Staat für ihn nichts als Spielball seiner Herrschaftsinteressen. Ihm in den Schandtaten ebenbürtig und sogar überlegen: Tamora, die Gotenkönigin, überzeugend verkörpert von Uta Eisold, mit dem Mohren Aaron (Jochen Nötzelmann) als Liebhaber und Mordgehilfen an ihrer Seite. Die einzige, die aus diesem Netzwerk von Gewalt und skrupelloser Gerissenheit herausfällt, ist Lavinia. Sie ist das Opfer und – Regisseur David Gerlach geht da bis an die Grenze der Zumutbarkeit – wird nach ihrer Vergewaltigung dem Publikum als blutüberströmter, halb verstümmelter Körper an der Bühnenrampe wie zur Schau präsentiert. Dass diese Szene ihren Schrecken behält und nicht lächerlich wird, ist auch dem eindringlichen Spiel von Franziska Knetsch zu danken.

David Gerlach gelingen mit seinen Schauspielerinnen und Schauspielern Szenen, die das Grauen der Gewalt aufzeigen, aber auch den Zuschauer in die Lage versetzen, die Grausamkeiten auf der metallisch grau ausgeleuchteten Bühne mit ihren Fallgruben und gefängnishaften Gittern und Toren als Beobachter kritisch und distanziert zu verfolgen. So lässt er zwischen den einzelnen Bildern eine Musik aus Disharmonien und dissonanten Klängen spielen, die, obgleich wie eine Fortsetzung des Bühnengeschehens wirkend, dieses auch verfremdet und davon ablenkt. Wie bei Strauß angelegt, unterbricht Gerlach immer wieder die Handlung und blendet kurze Filmstreifen ein, in denen die Spielerinnen und Spieler in völlig anderen Umgebungen, in einem Bus etwa oder in einem Schwimmbad oder einer Kneipe, zu ihren Rollen Statements abgeben. Leider waren diese wichtigen Einschübe sprachlich nicht gut zu verstehen. Das Bühnengemetzel wird dadurch immer wieder vom Zuschauer weggerückt und auf eine andere Betrachterebene gehoben. Besonders verfremdend wirkt die Rahmenhandlung, in die Gerlach seine Inszenierung (Dramaturgie: Jürgen Sachs) stellt. Die Aufführung beginnt mit einem Ausrufer, der für den Ankauf von neuem Wohnland wirbt. „Terra secura“ lautet sein Slogan, während sich im Hintergrund bereits die Wand öffnet und die künftigen Schlächter und Opfer einer längst vergangenen und dennoch bedrohlich nahen Epoche als groteskes Gruppenbild präsentiert. Eine Frau mit einem Jungen erscheint: vielleicht potentielle Käufer oder Touristen der „terra secura“. Das Schlussbild knüpft an diesen Anfang an. Der Junge steht am Bühnenrand, hängt sich einen weißen Umhang um und ruft sich – Spiel? bitterer Ernst? – zum nächsten Kaiser aus. Er jedenfalls hat aus den Morden und dem Töten auf der Bühne hinter ihm nichts gelernt. „Die Welt geht rund und sie macht sich nichts draus.“

Alles, vieles ist verkehrt in Shakespeares großer Liebeskomödie Was Ihr wollt, so wie es die Riesenbuchstaben in Spiegelschrift andeuten, die sich in der zweiten Inszenierung des Abends wie ein Vorhang über die Bühne ziehen. Orsino liebt Olivia oder glaubt sie zu lieben, denn wirklich verliebt gibt er sich nicht, schickt nur einen Boten zu der Angebeteten. Die liebt den Boten, oder glaubt ihn zu lieben, denn eigentlich liebt sie seinen Zwillingsbruder Sebastian. Und Malvolio, Olivias Haushofmeister, glaubt von seiner Herrin geliebt zu werden und sitzt in Wirklichkeit nur einem bösen Streich auf. Nur Orsinos Liebesbote Viola weiß genau, dass sie in den Richtigen, nämlich Orsino, verliebt ist, kann das aber nicht offen zeigen, weil sie sich als Mann verkleidet hat und unter einem falschen Namen auftritt. Durch ihn / sie erst, als Fremdling bei einem Schiffsunglück an Land gespült und gerettet, gerät alles so heillos durcheinander, dass die Komödie fast in einem unauflösbaren Possenknäuel endete, wenn sich nicht durch das Auftauchen des richtigen Zwillingsbruders alles, oder wenigstens das meiste, zu einem glücklichen Liebesende auflösen würde.

Regisseur Radestock gelingt mit einem Ensemble, das durch Spielfreude und schauspielerisches Können besticht, eine überzeugende, in sich geschlossene Aufführung des Stücks. Er legt den Akzent auf die Verwirr- und Verwechslungskomödie. Alles in Was Ihr wollt, so Radestocks durchaus nachvollziehbare Inszenierungsentscheidung, ist Schein, Spiel, Posse, Streich; überall – und der Zuschauer weiß das von Beginn an – lauert eine Grube, in die die Figuren mit ihren falschen Gefühlen und trügerischen Hoffnungen hineinfallen, in der sie straucheln können. Indem die großen Gefühle und Gesten der Liebe in der Aufführung als komisch entlarvt werden, wird die wahre Liebe – am Ende wird es angedeutet – „gerettet“, das Leben selbst aber über weite Strecken als trügerisch, als Farce eben, und die Menschen als puppenhafte Gecken vorgeführt.

Das Risiko einer solchen Inszenierung ist der Absturz der Aufführung in das Klamottenhaft-Komische. Radestock vermeidet das, indem er „dicht“ inszeniert – nichts, was auf der Bühne geschieht, ist bedeutungslos, alles wird miteinander verwoben und verzahnt – und allen komischen Szenen etwas Lockeres und Leichtes gibt. Die Derbheit eines Sir Toby wird nicht allzu selbstgefällig ausgespielt und die Sprechweise eines Sir Andrew voller Einfältigkeit und Dummheit verbreitet Heiterkeit, ohne penetrant zu wirken. Und das klischeehafte Agieren der Figuren als Dienstmädchen oder Trunkenbold oder Geck oder liebeshungrige Olivia ist eine komische Überzeichnung, die das Stück – und ein wenig selbstironisches Augenzwinkern auf Seiten des Regisseurs ist sicherlich dabei – in eine lange Tradition von Aufführungen dieser Art einreiht. Dazu passen die bunten Kostüme und geschminkten Gesichter der Figuren. Zusammen mit puppenhaft gespreizten Gesten und uhrwerkhaft choreographierten Bewegungen verstärken sie das Unwirkliche und manchmal Traumhaft-Komische des Spiels.

Die allgemeine Heiterkeit der Aufführung schlägt am Ende fast in das Gegenteil um. Olivias Haushofmeister sieht, dass er auf einen Streich, der ihn bloßgestellt hat, hereingefallen ist. Wie einer aus einer anderen Welt, in gelben Strümpfen mit Bändern verschnürt, steht er inmitten des Liebesglücks, das aus dem Land, in dem die Liebe keine Chance zu haben schien, endlich wirklich Illyrien gemacht hat, stolpert von der Bühne und schwört Rache. Aber da setzt bereits das Lied des Narren ein: „But that´s all one, our play is done, / And we´ll strive to please you every day.“

Herbert Fuchs



Gießener Allgemeine Zeitung

Lohnender Theaterabend der Gegensätze
Doppelpremiere in Marburg: »Schändung« von Botho Strauß und »Was ihr wollt« von Shakespeare

Mut zum Risiko beweist das Hessische Landestheater einmal mehr zur Spielzeiteröffnung in Marburg. Mit einer Shakespeare-Doppelpremiere fordert es sein Publikum in der Stadthalle zu einem kontroversen, sechsstündigen (mit Pausen) Theaterabend heraus, der im ersten Teil die Grenzen des Zumutbaren auslotet, dann aber mit dem zweiten Stück die Ausdauer der Zuschauer mit einer temporeichen Komödie reichlich belohnt. David Gerlach, schon länger dem Haus als Regisseur und Schauspieler verbunden, hat in diesem Herbst offiziell die Position des Oberspielleiters übernommen – und er hat sich für sein Debüt in diesem Amt wahrlich kein leichtes Thema ausgesucht. Mit seiner Wahl des Titus-Andronicus-Stoffes in der Bearbeitung von Botho Strauß nimmt er sich der unbequemen Auseinandersetzung mit Vergewaltigung, Verstümmelung und Gewalt in Zeiten des Krieges über weite Strecken intelligent und unnachgiebig an – und wird damit nicht unmittelbar den Nerv des breiten Publikumgeschmacks treffen. Geschändet wird in diesem gnadenlosen Spiel um Macht und Vorherrschaft Lavinia, die Tochter des siegreichen Feldherrn Titus Andronicus, der in ein Rom des Zerfalls und der Dekadenz zurückgekehrt ist. Von zwei unreifen Sprösslingen der Gotenkönigin Tamora wird sie nicht nur brutal vergewaltigt, sie schneiden ihr auch noch Zunge und Hände ab, damit sie die Täter nicht verraten kann. Gerlach zeigt diesen Gewaltakt nicht in allen Details, dafür aber in seinen unübersehbaren Folgen. Und er bedient sich eines Tricks: Zwischen den Szenen blendet er kurze Videoaufnahmen ein, in denen die Schauspieler ihren Rollenansatz erklären. Was bis dahin schlüssig wirkt, gerät in der letzten Einspielung aus den Fugen. Die unappetitliche Verwurstung eines Schänders hätte der Regisseur seinem Publikum getrost ersparen und hier mehr auf die Vorstellungskraft der Zuschauer vertrauen können. Gewalt findet auch im Kopf statt. Im grauen, metallisch schimmernden Einheitsbühnenbild von Andreas Rank – die nach vorne zu einem Dreieck zugespitzte Schräge findet auch in der zweiten Produktion ihre Verwendung – können sich rollengemäß vor allem Franziska Knetsch und Thomas Streibig stark profilieren. Knetsch lässt den Schock und die Sprachlosigkeit Lavinias spüren, dass einem das Blut in den Adern gefriert. Streibig rettet sich als ihr hilfloser Vater in martialische Attitüden, im Stechschritt marschiert er rastlos über die Bühne, hackt sich seine Wut mit der Spaltaxt aus dem Leibe. Uta Eisold ringt mit dem intriganten Wesen der Gotenkönigin Tamora. Gleich zwei Männer sind ihr verfallen: Sascha Oliver Bauer als schwächlicher, formbarer Kaiser und Jochen Nötzelmann als ihr durchtriebener, muskulöser Liebhaber Aaron.

»Was ihr wollt« steht in bunter Spiegelschrift nach einer knapp einstündigen Erholungsphase auf dem Gaze-Vorhang geschrieben – und Peter Radestock, bis zum Sommer langjähriger Oberspielleiter in Marburg, verwöhnt die nach der Pause zahlreicher erschienenen Gäste mit einer turbulenten Inszenierung, in der Tempo, Timing und Trommelwirbel aufs Beste abgestimmt sind. Durchweg ausgezeichnet disponiert präsentiert sich hier ein neunköpfiges, überaus spielfreudiges Ensembles, das – auch dank der schrillen Kostüme von Andreas Rank – spaßbringenden Mut zur skurrilen Überzeichnung ihrer Figuren beweist. Sie scheinen dem Zeichenstift Wilhelm Buschs entsprungen zu sein, diese Witzfiguren am Hofe der exaltierten Gräfin Olivia (Regina Leitner mit Domina-Allüren). So erinnert Christine Reinhardt in ihrem herrlich direkten Spiel an die Witwe Bolte, die ihre außer Rand und Band geratenen Mannen am liebsten an den Ohren ziehen würde. Dabei hat sie eigentlich den Höllenunfug angerichtet durch den gefälschten Liebesbrief, dem Markus Klauk als gespreizter Haushofmeister Malvolio so dankbar zum Opfer fällt. Sie sind schon ein köstliches Gespann: allen vorweg Stefan Gille als näselnder, stets eine Spur beleidigter Bleichenwang in absoluter Hochform, effektvoll unterstützt von Jürgen Helmut Keuchel als ständig betrunkener Sir Toby Rülps, zu denen sich Stefan Piskorz als behender Clown und Narr gesellt, der seine Weisheiten so flink formuliert, dass es einem schwarz vor Augen werden kann. Bei soviel Witz stehen die feinen Herrschaften ganz schön blöd dar – und wissen am Ende nicht mehr, ob sie Männlein oder Weiblein sind. Schuld an diesem heillosen Durcheinander ist ein Geschwisterpaar: Franziska Endres bewährt sich bestens in ihrer Hosenrolle als Viola/Cesario, und Florian Federl gibt hier sein überzeugendes Marburg-Debüt als Zwillingsbruder Sebastian. Gestrandet sind die beiden im Phantasiereich Illyrien – »dieses Land ist eine offene Anstalt«, meint der Narr –, in dem Peter Meyer als liebeskranker Herzog Orsino herrscht: Guildo Horn lässt schön grüßen!

Marion Schwarzmann



Marburger Neue Zeitung 16.10.2007

Racherausch trifft auf Liebesreigen
Doppelpremiere eröffnet die Spielzeit

Marburg (bep). Mit einem Theater-Marathon von viereinhalb Stunden ist am Samstag die neue Spielzeit eröffnet worden. Mit einer Doppelpremiere brachte das Ensemble des Hessischen Landestheaters Marburg „Schändung“ von Botho Strauß und „Was ihr wollt“ von William Shakespeare auf die Bühne. Die Plätze in der Stadthalle waren zunächst nur zu zwei Dritteln besetzt, zur zweiten Aufführung kamen etwas mehr Zuschauer.

Graue, kahle Wände. Triste Fensterhöhlen. Eine kalte Fabrikhalle. Der einsame Held Titus Andronicus, hervorragend dargestellt von Thomas Streibig, kehrt nach dem Sieg über die Goten heim und findet Rom im Chaos vor. Tatenlos muss er zusehen, wie seine Todfeindin, die ruchlose Gotenkönigin Tamora, den jungen Kaiser Saturnin umgarnt, ihn schließlich heiratet und an die Macht gelangt. Nach dem Ritus muss zunächst ein Menschenopfer gebracht werden, um die Götter nach der Schlacht zu besänftigen. Titus, der selbst im Kampf 25 Söhne verloren hat, wählt den Sohn der Gotenkönigin und lässt ihn ermorden. So nimmt die Tragödie ihren Lauf. Tamora, sehr überzeugend gespielt von Uta Eisold, schmiedet zusammen mit ihrem Geliebten einen schrecklichen Racheplan: Sie lässt Lavinia, die Tochter des Titus, entführen. Tamoras Söhne vollziehen die Schändung, vergewaltigen das Mädchen und schneiden ihr die Zunge heraus. Es kommt, wie es kommen muss: Titus sinnt wiederum auf Rache und lässt die Vergewaltiger seiner Tochter umbringen. Seinen Triumph erlebt er in einem Mahl mit der Gotenkönigin, bei dem sie unwissentlich das Fleisch ihrer Söhne verspeist. Es fließt viel Blut in dem Stück von Botho Strauß, es wird gemordet und verstümmelt. David Gerlach hat in der beeindruckenden Inszenierung der Tragödie, die auf Shakespeares „Titus Andronicus“ basiert, gezeigt, dass nur eine dünne Schicht der Zivilisation den barbarischen Kern im Menschen verdeckt. Einmal freigelegt, setzt dieser eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt in Gang, ein Gedanke, der sicherlich auch heute noch Aktualität hat. In der einstündigen Pause konnten die Zuschauer im Foyer flanieren und in entspannter Atmosphäre den Sonetten von Shakespeare, vorgetragen von Jochen Nötzelmann und Bastian Michael, lauschen. Viele entschieden sich auch dafür, im Restaurant der Stadthalle einen „Shakespeare-Teller“ zu sich zu nehmen. Erfrischend heiter ging es dann mit „Was ihr wollt“ weiter. Die witzig-spritzige Inszenierung zog die Zuschauer sogleich in ihren Bann. Die um 1600 entstandene Komödie spielt im sagenhaften Illyrien, dem Land der Verliebten, der Traümer und Narren. Die schöne Viola landet in Illyrien und tritt, verkleidet als Cesario, in den Dienst von Herzog Orsino. Sie verliebt sich sofort in den stattlichen Mann, der wiederum unsterblich in die Gräfin Olivia verliebt ist. Die attraktive Olivia, hervorragend verkörpert von Regina Leitner, erwidert seine Liebe aber nicht, sondern verguckt sich sofort in den jungen Cesario, der als Liebesbote bei ihr antritt. Ein amüsanter Reigen von Verwechslungen Verwicklungen beginnt. Sehr kurzweilig sind auch die Szenen der Nebenhandlung. Der eitle Haushofmeister Malvolio (herrlich überdreht: Markus Klauk) wird Opfer der Streiche des dicken Sir Toby Rülps und seines langsamen Freundes Sir Andrew Bleichenwang. Die Komödie endet in einem fröhlichen Happy-End, bei dem jeder sein Glück findet. Insgesamt war es ein Theaterabend der Gegensätze: hier die düster-tiefsinnige Rachetragödie von Strauß, dort die locker-leichte Verwechslungskomödie von Shakespeare. Dass die Zuschauer voll auf ihre Kosten kamen, lag an den überzeugenden Inszenierungen und den ausgezeichneten Darstellern.



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